"300 Sport Leicht"
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1952: Das 300 SL RennsportcoupéDie 24 Stunden von Le Mans zählen seit 1923 zu einem der Höhepunkte der Motorsportsaison. Ihren Teilnehmern, mehr noch den Siegern, gehört die gespannte Aufmerksamkeit des Publikums - und der Käufer - denn ein Sieg in Le Mans ist gleichbedeutend mit Imagegewinn und Verkaufserfolg. 1952 meldet die Daimler-Benz AG drei der neuentwickelten, futuristisch anmutenden Mercedes-Benz 300 SL Rennsportcoupés zu diesem geschichtsträchtigen Ausdauerrennen. Die Wettbewerber sind erstaunt, aber nicht weiter beunruhigt, denn erstens hat Mercedes in Le Mans noch nie eine besondere Rolle gespielt, und außerdem sind die Wagen aus Untertürkheim denen der Franzosen, Briten und Italiener leistungsmäßig unterlegen. Aber immerhin, Mercedes-Benz tritt erneut an. Erstmals hatten die neuen SL bei der Mille Miglia Anfang Mai Speed und Stehvermögen gezeigt und in diesem bedeutenden Langstreckenrennen einen beachtlichen zweiten Platz erzielt. Mit einem Dreifachsieg beim Preis von Bern kommt der 300 SL erneut in die Schlagzeilen. Nun also Le Mans. Beim Training erregt einer der Mercedes-Benz heftiges Aufsehen. Auf seinem Dach ist eine Luftbremse montiert, die, senkrecht gestellt, enorme Wirkung zeigt beim Herunterbremsen aus hohen Geschwindigkeiten. Allerdings rütteln die auftretenden Kräfte auch nachhaltig an den Haltepylonen; Mercedes verzichtet im Rennen auf deren Einsatz. Das Rennen wird für Mercedes-Benz zu einer eindrucksvollen Demonstration der Leistungsfähigkeit. Am Samstag, 14. Juni 1952, 16 Uhr, stehen 58 hochkarätige Renner am Start. Bei Halbzeit sind es noch 31. Auch das SL-Team Kling/Klenk ist mit Lichtmaschinenschaden aus dem Rennen. Die beiden anderen SL laufen wie Uhrwerke, mittlerweile auf den Plätzen zwei und drei. Vier Stunden vor Rennende drehen noch 19 Wagen ihre Runden, nach 23 Stunden nur noch 17; an der Spitze führen die Mercedes-Benz uneinholbar. Die Sieger heißen Hermann Lang/Fritz Rieß mit einem Gesamtdurchschnitt von 155,575 Stundenkilometern, ein neuer Rekord in der Le-Mans-Historie. Zweite sind Theo Helfrich/Helmut Niedermayr. Dieser Doppelsieg ist ein Erfolg, mit dem niemand gerechnet hat, nicht einmal der Veranstalter, denn dem fehlt schlicht die deutsche Nationalhymne. Die SL jedoch haben den Grundstein zu ihrer Legende gelegt. Von der Idee zur Realität Was waren das für Autos, die für die Fachwelt fast aus dem Nichts wieder auf den Rennstrecken erscheinen und offensichtlich in bester Mercedes-Benz Silberpfeil-Tradition unterwegs sind? Im Dezember 1947 werden in einer denkwürdigen Vorstandssitzung der Daimler-Benz AG die Weichen für die zukünftige Gestaltung des Produktionsprogramms gestellt. Die Ausgangslage ist nicht gerade rosig: Nur wenige funktionsfähige Fertigungs-Einrichtungen, äußerst knappe Rohstoffe, veraltete Konstruktionen. Bei dem Blick in die Zukunft schälen sich jedoch vage neben einer Repräsentationslimousine auch die Umrisse eines Sportwagens heraus, dessen Realisierung allerdings utopisch ist. Aber die Idee ist da und hält sich hartnäckig. Rudolf Uhlenhaut, leidenschaftlicher Automobilingenieur und nie um neue Lösungen verlegen, präsentiert nur sechs Wochen nach dieser Sitzung dem Vorstand einen Entwurf, der sich als visionär erweisen sollte, bietet er doch schon einige revolutionäre Elemente, die dem späteren Sportwagen buchstäblich "gut zu Gesicht" stehen. So wird der Wagen sozusagen zu Uhlenhauts "Baby". Zwei Jahre später fällt eine weitere Entscheidung. Der konkreter werdende Sportwagen soll die Bezeichnung "300 Sport" tragen. Um die angestrebte Leistung von 200 PS zu erreichen, müsste ein neuer Motor entwickelt werden. Dazu fehlen jedoch die Kapazitäten. Vorhandenes muss reichen, und da ist die Auswahl nicht gerade berauschend. Die motorische Keimzelle Vielversprechend für eine Weiterentwicklung ist der robuste M 159, wie er intern heißt, ein 2,6-Liter-Sechszylinder, Ende der 30er Jahre für den neuen Typ 260 konstruiert, der wegen des Kriegsausbruchs nicht in Serie geht. Für den Motor bleibt es nicht beim Versuchsstadium; er bewährt sich tausendfach in leichten Lkw und Feuerwehrfahrzeugen. Dieser Motor wird zur Basis einer neuen Baureihe. Sein Konzept umfasst V-förmig im Zylinderkopf hängende Ventile, unten liegende Nockenwelle und eine zwischen den Ventilen angeordnete Zündkerze im dachförmigen Brennraum. Er ist auf sparsamen Verbrauch bei einer Leistung von 60 bis 70 PS ausgelegt. Nach dem Zweiten Weltkrieg durchläuft der M 159 mehrere Evolutionsstufen. In Produktion gelangt schließlich der M 186, mit schräger Trennfläche zwischen Zylinderkopf und Motorblock, oben liegender Nockenwelle, großen Einlassventilen, Verbrennungsraum in Kolben und Motorblock, 3 Litern Hubraum und 115 PS. Er ist der geschmeidige Antrieb für den im April 1951 vorgestellten repräsentativen Mercedes-Benz 300, der als "Adeneauer-Mercedes" bekannt wird. Eine leistungsstärkere Variante mit der Bezeichnung M 188 beflügelt den sechs Monate später präsentierten, sehr exklusiven, sportlichen Zweitürer 300 Sm, der als Coupé, Cabriolet und Roadster angeboten wird. Er fungiert als Topmodell des Mercedes-Benz-Programms. "300 Sport Leicht" Am 15. Juni 1951 beschließt der Vorstand, ab 1952 wieder an Sportwagenrennen teilzunehmen und damit endgültig den Bau des "300 Sport Leicht", wie er getauft wird. Es geht zügig weiter auf der Suche nach PS, denn für die geplanten Einsätze in Langstreckenrennen und mit Blick auf die Konkurrenz wird viel Leistung benötigt. Subtiler Feinschliff fördert rund 170 PS zu Tage. Mehr ist zunächst nicht herauszukitzeln. Der nun zum M 194 mutierte Sportmotor unterscheidet sich von seinen "zivilen" 3-Liter-Brüdern nicht nur in der Leistung, sondern auch durch eine Besonderheit: Er wird in einem Winkel von 50° nach links liegend eingebaut. Das mit ihm verbundene Vierganggetriebe, direkt aus dem Typ 300 übernommen, ist zwar robust, aber wie der Motor nicht gerade leicht. Der Weg zur Leichtigkeit An Motor und Getriebe des heranreifenden W 194 lässt sich also in punkto Gewicht nichts machen. Auch die ebenfalls vom 300er übernommenen Achsen sind aus Stahl. So gilt die Suche gewichtsreduzierenden Potenzialen. Die sind nach Lage der Dinge nur noch im Rahmen und der Karosserie sowie, als zusätzliche Option, in einem möglichst windschlüpfigen Aufbau zu finden. Der X-Rohrrahmen des 300 und auch ein relativ leichter Leiterrohrrahmen eines Vorkriegs-Rennwagens kommen nicht in Betracht. Rolf Uhlenhaut nimmt daher seine Idee eines leichten Rohrrahmens wieder auf, mit dem er sich einige Jahre zuvor schon befasst hat. Diese Idee entwickeln seine Konstrukteure bis zur Vollendung weiter. Es entsteht ein leichter, aus sehr dünnen Rohren zu lauter Dreiecken zusammengesetzter, extrem verwindungssteifer Gitterrohrrahmen, der nur auf Druck und Zug beansprucht wird. Er wiegt magere 50 Kilogramm und wird zum nachgerade berühmten Rückgrat nicht nur des W 194 und der 1954 präsentierten Serien-Version , sonder auch der erfolgreichen Renn- und Rennsportwagen der Jahre 1954/55. Cw -Wert 0,25 und Flügeltüren Mit dem Aluminium-Aufbau geben sich die Karosseriebauer in Untertürkheim und Sindelfingen besondere Mühe. Der Wagenkörper gerät dank des schräg eingebauten Motors und der angestrebten Windschlüpfigkeit sehr niedrig, schnörkellos bis an den Unterboden, mit flachem Bug, intuitiv strömungsgünstig geformten Rundungen, eingezogenen Scheinwerfern und voll von der Karosserie abgedeckten Rädern. Auf den klassischen Mercedes-Benz Kühler wird zugunsten eines flachen Rennwagengesichtes aus der Vorkriegszeit verzichtet. Nicht jedoch auf den Mercedesstern, der groß und unübersehbar auf dem Gitter der Kühlluftöffnung thront. Der Coupéaufsatz fällt so schmal wie möglich aus. Die Windschutzscheibe steht deutlich schräg und zur A-Säule hin gerundet; langgestreckt geht die große Heckscheibe in das strömungsgünstige Heck über. Das Ergebnis ist eine mit 1,8 m² relativ kleine Stirnfläche und der hervorragende Cw -Wert von 0,25. Die Türen sind ein Kapitel für sich. Um einem Gitterrohrrahmen hohe Stabilität zu geben, muss er im Bereich der Fahrgastzelle möglichst breit gestaltet sein. Diese Notwendigkeit führt zu den spektakulären, später so berühmten Flügeltüren. Der Türausschnitt beginnt bei den ersten Fahrzeugen an der Gürtellinie. Die Türen, tief ins Dach eingeschnitten, öffnen nach oben und erinnern dabei an ausgebreitete Flügel, von den Amerikanern "Gull Wings" getauft, Möwenflügel. Fahrer und Beifahrer steigen von oben ein. Um den Einstieg über die hohe Bordwand besser meistern zu können, gönnen die Karosseriebauer ihnen im unteren Teil der Karosserieflanke sogar einen Einstiegstritt. Im FIA-Reglement findet sich seinerzeit übrigens kein Passus, wie und in welcher Richtung Türen öffnen sollen. Trotzdem erregen sie bei der Wagenabnahme zur Mille Miglia im Mai 1952 heftig die Gemüter der Sportkommissare. Um eventuellen späteren Protesten zuvor zu kommen, werden die Türen nach dem Italieneinsatz bis in die Flanke hinein verlängert. Sie haben ihre endgültige Form gefunden. Ein behagliches Cockpit Der Innenraum soll für die Fahrer ein "Arbeitsplatz zum Wohlfühlen" sein, ist daher voll verkleidet und strahlt eine für einen Rennwagen ungewöhnliche Behaglichkeit aus. Tacho und Drehzahlmesser liegen unter einer gemeinsamen Haube, darunter, etwas kleiner, die Instrumente für Wassertemperatur, Benzindruck, Öltemperatur und Öldruck. Selbst eine Stoppuhr ist installiert. Die hochbordigen Schalensitze tragen eine dünne, dennoch bequeme Polsterung aus kariertem Wollstoff, und das Vierspeichenlenkrad ist abnehmbar zur Erleichterung des Einstieges. Der lange, abgewinkelte Schalthebel ragt unter dem Armaturenbrett hervor, und flach an der linken Bordwand ist die "Krückstock"-Handbremse angeordnet. Kopfstütze, Sicherheitsgurt, Servolenkung sind noch Vokabeln einer fernen Zukunft. Der Ur-300 SL, Fahrgestell-Nummer W 194 010 00001/52, absolviert die ersten Probefahrten im November 1951 auf der Solitude-Rennstrecke vor den Toren Stuttgarts, auf dem Nürburg- und dem Hockenheimring. Er hat noch eine schmale Serienbereifung auf Stahlrädern ohne Zentralverschluss, dafür aber mit Radkappen. Das Armaturenbrett ist noch nicht bezogen, der Fußraum noch ohne Veloursverkleidung und - auf dem Heckdeckel sitzen Mercedes-Stern und 300-SL-Schriftzug noch nicht an der endgültigen Stelle. Am 12. März 1952 wird einer erregten, staunenden Presse das Mercedes-Benz 300 SL Rennsportcoupé, das ungewohnt glatt und niedrig daherkommt - es ist nur 1225 Millimeter hoch - auf der Autobahn zwischen Stuttgart und Heilbronn vorgestellt. Die Roadster-Riege Nach Le Mans sollen die SL, insgesamt wurden 11 Fahrzeuge gebaut, bei einem Sportwagenrennen auf dem Nürburgring starten. Um die vier für dieses Rennen vorgesehenen Wagen so leicht wie möglich zu machen, werden drei Coupés kurzerhand die Dächer abgeschnitten. Ein Wagen wird von vorn herein als Roadster aufgebaut. Dem Fahrer bleibt zum bequemeren Einstieg der in die Flanke hineinreichende Teil der Tür erhalten, außerdem erhält er zur besseren Ableitung von Fahrtwind und Fliegen eine kleine Scheibe. Die Instrumente beschränken sich auf Drehzahlmesser, Öldruck und Wassertemperatur. Der bisher rechts weit über das Heck hinausragende Auspuff feuert bei den Roadstern aus der rechten Flanke. Der Gewichtsvorteil gegenüber den Coupés: rund 100 Kilogramm. So gerüstet überzeugen die 300 SL auf dem Nürburgring mit einer Formationsfahrt. In der Reihenfolge Lang, Kling, Rieß, Helfrich fahren sie einen ungefährdeten Vierfachsieg nach Hause. Der Triumph bei der Carrera Panamericana Mexiko Das Jahr 1952 hatte es mit den Mercedes-Benz Rennern außerordentlich gut gemeint. Mille Miglia: Zweiter und vierter Platz. Sportwagen-Rennen Bern: Dreifachsieg. Le Mans: Doppelsieg. Sportwagen-Rennen Nürburgring: Vierfachsieg. Nach diesen Einsätzen war die Rennsaison für Mercedes eigentlich abgeschlossen. Eine letzte große Herausforderung wartet indes noch auf die Rennabteilung, angeschoben durch die rührige Mercedes-Benz Vertretung Prat Motors S. A. in Mexiko-City: Die Teilnahme an der 3. Carrera Panamericana Mexiko, ein Rennen über 3100 Kilometer durch Mexiko, in fünf Tagen und acht Etappen. Daimler-Benz akzeptiert die Herausforderung, und so beginnen sorgfältige Vorbereitungen, bei denen nichts dem Zufall überlassen bleibt. Das geht soweit, dass selbst Kraftstoffmischungen erprobt werden, die bei Höhenunterschieden von nahezu Meereshöhe bis hinauf auf 3196 Meter jederzeit einen einwandfreien Motorlauf gewährleisten müssen. Vier SL sind mit von der Partie, mit 3,1-Liter-Motoren und nunmehr 180 PS Leistung: Zwei Coupés unter Kling/Klenk und Lang/Grupp, sowie zwei Roadster. Einen pilotiert der neu ins Team aufgenommene Amerikaner John Fitch, begleitet vom urschwäbischen Rennmonteur Geiger. Den Reservewagen steuert Günther Molter, von Mercedes engagiert als Pressechef der Rennmannschaft und Assistent Alfred Neubauers. Molter wird später langjähriger Leiter der Daimler-Benz Presseabteilung. 92 hochgezüchtete Rennsportwagen stehen am 19. November um 7.00 Uhr am Start in Tuxtla Gutierres im Süden Mexicos. Als erste auf die Strecke gehen, in Minutenabstanden, ein Cadillac und ein Jaguar. Die Mercedes stürzen sich mit den Startnummern 3, Lang, 4, Kling und 6, Fitsch, ins Rennen. Die ersten drei Abschnitte der gebirgigen 1100 Kilometer langen Südetappe sehen die 300 SL in vorderster Front, aber auch mit Problemen konfrontiert. Kling erleidet schon auf dem ersten Teilstück jenen berühmten Unfall mit dem Geier, der die Windschutzscheibe durchschlägt und seinen "Co" Klenk kurzzeitig außer Gefecht setzt. Lang läuft ein Hund in den Wagen, der den Bug lädiert. Alle drei Wagen müssen mehrfach Reifen wechseln, die von den Straßen förmlich gefressen werden. Nach der dritten Etappe liegen die Mercedes in der Reihenfolge Kling, Fitch, Lang auf den Plätzen 2, 3 und 4. Molter im Reservewagen fährt außer Konkurrenz mit oder besser vornweg, stets aktuell am Puls des Rennens. Auch er hat ein unangenehmes Erlebnis - mit einem Esel. Die ab Mexiko City folgenden 2000 Kilometer der Nordetappe führen in fünf weiteren Teilstücken zum Ziel in Ciudad Juarez am Rio Grande del Norte. Es sind schnelle Passagen, die alles von Fahrern und Wagen verlangen. Kling gewinnt die zweite dieser Etappen, trotz eines Reifendefektes. Allerdings liegt Giovanni Bracco auf Ferrari, sein Mille-Miglia-Bezwinger, in der Gesamtwertung noch sieben Minuten vor ihm. Lang notiert Platz drei. Auch der nächste Abschnitt wird eine Beute Klings. Am Start zur vorletzten Etappe, er liegt nur noch 3,45 Minuten hinter Bracco, lässt dieser über seinen Freund Molter die Mercedes-Bent-Crew wissen, dass sein Ferrari es wohl nicht mehr bis ins Ziel schafft. Die Kraftübertragung zerbröselt. Das war keine Finte, sondern echter Sportsgeist, denn der Ferrari fällt tatsächlich kurz danach aus. Fitch, bis dahin an vierter Stelle liegend, wird wegen eines bis heute umstrittenen Reglement-Verstoßes disqualifiziert, darf allerdings bis zum Ziel außer Konkurrenz mitfahren. Der letzte Abschnitt der Panamericana, ab Chihuahua, sieht Kling und Lang in Führung. Sie fahren wie entfesselt, auch Fitch lässt seinen Roadster fliegen. Es ist für die Mercedes-Benz eine Triumphfahrt ohnegleichen. Die Durchschnittsgeschwindigkeit für die 358 Kilometer lange Strecke bis ins Ziel steht mit 218,495 Stundenkilometern für den Sieger Kling im offiziellen Protokoll.
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